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Eine Haltestelle zwischen Diesseits und Jenseits

Das Theater im Steinbruch zeigte in der Majabühne eine Trash-Oper – inklusive HipHop und derber Sprache.

Trash heißt Müll, das Wort bezeichnet aber auch bewusst banale oder triviale Produkte mit seichter oder fragwürdiger Unterhaltung. Aber Vorsicht: Hinter dem vorgeblichen Müll, lauert immer eine Wirklichkeit, ein Spiegel, der einem vorgehalten wird. Trash eignet sich also wunderbar für ein Spiel zwischen möglichen und unmöglichen Welten, auch für das Ensemble vom Theater im Steinbruch – das lud am Wochenende zur „Trash-Oper“ in die Majabühne.

Eine simple Bushaltestelle mit Doppelbank und eine Mülltonne. Mehr braucht es nicht an Requisiten um eine stimmungsvolle und bezeichnende Kulisse hervorzuzaubern, um das Theaterstück „Haltestelle.Geister“ um Sex and Drugs und – wir leben in modernen Zeiten – HipHop von Helmut Krausser aus dem Jahr 1999 auf die Bühne zu bringen.

Die Haltestelle ist Schnittstelle verschiedener Welten, die aufeinander prallen. Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, aber auch zwischen grausamer Realität und ungestillten Sehnsüchten. Es scheint nur ein Entweder-Oder zu geben. Gibt es jemanden, der vermitteln kann? Die Haltestelle ist auch Begegnungsstätte für alle möglichen und unmöglichen Gestalten, die man nicht unbedingt an einer Haltestelle treffen will.

Sie könnte in jeder x-beliebigen Stadt stehen. Eine Frau sitzt dort und wartet auf dem Bus. Vielleicht eine Einladung für eine Nacht aus der Sicht eines Mannes. Ein Typ vom Grillimbiss (gespielt von Benedikt Bachert) nähert sich ihr: „Ich kann Sie begleiten.“ Doch es ist nicht so einfach. Sie sagt, sie sei Gracia Gala und eine Prinzessin vom Planeten Tallulah (Felicia Hess). Einzig allein ihre arg verlängerten Wimpern erinnern an ihre nichtirdische Herkunft. Vielleicht ist sie ein wenig durchgeknallt. „Ich glaube ihnen“, versichert der Würstchenverkäufer.

Sie bleiben nicht allein. Kurze Zeit später taucht ein älterer Mann (Pascal Jessen) an der Bushaltestelle auf und mischt sich ein: „Sind Sie belästigt worden?“ Irritiert und allein bleibt er auf der Bank sitzen, nachdem er erfährt, dass sie extraterrestrisch sein will. Doch auch er bleibt nicht lange allein. Drei aufreizend gestylte Mädchen (Theresa Bähr, Helena Huber, Miriam Fuhrmann) kommen an, spielen mit ihm und stehlen sein Portemonnaie. Er erhofft sich eine schöne Nacht mit einer von ihnen – doch es endet mit einem Verkehrsunfall.

Die Haltestellte zieht auch andere zwielichte Gestalten magisch an, wie Rico (Janni Hornung), den Drogendealer mit der Bierflasche in der Hand. Es stellt sich heraus, dass er die jungen Damen anschaffen lässt und sie zum Diebstahl animiert. Rico verkauft auch „Mickeys“, Drogen, die einem in einen anderen Zustand, in eine andere Welt versetzt – die sind bald heißbegehrt.

Dann wird es dunkel auf der Bühne. Düsteres rotes Licht lenkt die Aufmerksamkeit auf eine eine schwarzgekleidete Person (Jasmin Baumgratz). Eine schaurige Gestalt, entrückt vom wirklichen Leben, die auf etwas Unheimliches, Unheilvolles verweist. Die Prinzessin vom Tallulah sitzt wieder auf der Bank. Ein junger Mann (Lucas Meier), spießig-adrett gekleidet, stürmt auf sie: „Sind Sie meine Prinzessin?“ Er ist überzeugt, dass die Frau diejenige ist, mit der er sich nach reichlich E-Mail-Sex auch real verabredet hat.

Wie in einem Reigen kommen die nächsten Akteure an die Haltestelle an. Eine blinde Frau namens Ella (Xenia Jansen) fragt sich nach der Haltestelle durch, ein Rentner mit Rollator (Nils Köllermann), der seit siebzehn Jahren seine Frau sucht, eine bieder gekleidete Frau (Larissa Göppert), die auf ihre Internet-Bekanntschaft wartet, ein Obdachloser, der Tütenpenner (Lukas Bürgin), der Stimmen hört, und ein Ehepaar (Gunter Hauß und Simone Bockstahler), aus einer Oper kommend mit sadomasochistischem Interesse an Sex und Gewalt.

Die von Lorenz Allweyer und Johannes Wipfler inszenierte Trash-Oper sprüht vor Charme und Spannung und derber Sprache. Sie ist mehr als Trash, sie bildet die Wirklichkeit so ab, wie sie ist. Unterschiedliche Realitäten, Welten prallen aufeinander, personifiziert von Gestalten, die doch wirklichkeitsnah sind und von ihren Träumen und Sehnsüchten erzählen. Die Darsteller füllen die Charaktere mit viel Spielfreude und Esprit aus, dass es Lust macht auf mehr macht – vielleicht auch auf eine weiteren Vorstellung. Die Zuschauer in der Maja-Bühne geizten nicht mit Beifall.

Badische Zeitung, 08.12.2014

Interview mit den Regisseuren von Haltestelle.Geister: „Das Stück kann einem viel geben“

Das Theater im Steinbruch führt Anfang Dezember die Trash-Oper „Haltestelle.Geister“ auf. Erstmals führen Johannes Wipfler und Lorenz Allweyer Regie. Im BZ-Interview erklären die beiden den Weg in die Regie und das Stück.

Das Theater im Steinbruch zeigt Anfang Dezember die Trash-Oper „Haltestelle.Geister“ von Helmut Krausser. Dabei führen erstmals Lorenz Allweyer und Johannes Wipfler Regie. Sylvia-Karina Jahn sprach mit den Beiden.

BZ: Sie kommen beide aus dem Kindertheater, haben erste Erwachsenenrollen gespielt – und führen nun gemeinsam Regie beim Winterstück. Was lockt Schauspieler in die Regie?

Wipfler: Nach 15 Jahren auf der Schauspielerseite wollte ich mal sehen, wie das ist, wenn man auf der anderen Seite steht. Wir sind beide als Jugendvertreter im Vorstand des Theaters im Steinbruch und bekamen das Angebot, die Jugend könnte mal wieder ein Stück machen. Da haben wir zugegriffen.

Allweyer: Ich habe schon mal ein Schultheater geleitet und habe Spaß an dem Perspektivenwechsel – und daran, eigene Gedanken in das Stück einfließen zu lassen, eigene Vorstellungen auf die Bühne zu bringen.

BZ: Ist es nicht ein wenig ungewohnt oder sogar kompliziert, plötzlich denjenigen Anweisungen zu geben, mit denen man bisher gemeinsam gespielt hat?

Wipfler: Anfangs erschien es uns schwierig, man braucht eine andere Autorität, aber wir führen auf gleicher Ebene Regie und spielen auch kurzfristig selbst mit. Es ist kein Problem.

Allweyer: Ich dachte, es würde schwierig, denn es sind Leute dabei, die viel länger spielen als wir – da hat man doch Respekt und denkt, die sagen vielleicht, das kann man so nicht machen. Aber es ist im Gegenteil eine tolle Zusammenarbeit.

BZ: Haltestelle.Geister gilt als Trash-Oper. Trash heißt übersetzt Müll oder Unrat und steht nicht gerade für hohe Kunst. Was hat Sie daran gereizt, es mit diesem Genre und diesem Stück zu versuchen?

Allweyer: Trash Oper heißt erst mal, dass das Stück szenisch aufgebaut ist wie eine Oper, aber es wird nicht gesungen. Das Stück macht Spaß, weil man keine Märchencharaktere hinbiegen muss, die Personen verhalten sich so wie echte Menschen auf der Straße.

Wipfler: Wir haben ein paar Stücke gelesen, auch Jugendstücke, sind dann aber an diesem hängen geblieben. Es stellt die Realität dar, die Problematik von Leuten, die keine Zeit mehr haben, auf andere einzugehen, eine Gesellschaft mit Scheuklappen sozusagen. Das Stück spricht die Altersgruppe ab 16 Jahren an, junge Erwachsene ebenso wie Ältere, die sich mal auf etwas Neues einlassen möchten.

BZ: Gibt es bei der Inszenierung besondere Schwierigkeiten?

Allweyer: Das Bühnenbild ist einfach, ein Haltestellenschild, eine Bank und ein Mülleimer. Problematisch ist die Größe des Ensembles, 16 Schauspieler zwischen 15 und 33 Jahren auf der Maja-Bühne – das wird eng. Deswegen probieren wir, die Leute auch im Raum auftreten zu lassen; das will koordiniert sein. Sehr eng wird es im Backstage-Bereich, wenn nur zwei Leute auf der Bühne stehen und die anderen auf den nächsten Auftritt warten.

Wipfler: In diesem Stück ist jeder Charakter wichtig, keiner gleicht dem anderen und deswegen müssen wir mit jedem Einzelnen proben. Seit zwei Wochen kommt die Koordination mit der Technik hinzu; wir haben drei Techniker dabei. Weil das Bühnenbild so einfach ist, arbeiten wir viel mit Musik und Lichteffekten. So markieren wir beispielsweise die Geisterzone, wo die Toten auf die Bühne kommen.

BZ: Klingt gruselig. Ist es das?

Wipfler: Gar nicht! Aber es sterben Leute in dem Stück und kommen als Geister an die Haltestelle. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen, es fallen auch mal derbe Schimpfwörter und ein Pärchen, das dem Sadomaso nicht abgeneigt ist, spricht offen über seine Fantasien. Es gibt auch eine Passage, wo Gott in Frage gestellt wird und provokante Meinungen dazu geäußert werden.

Allweyer: Die Geister können mit den Lebenden nicht kommunizieren und bei einigen wandelt sich durch den Tod der Charakter. Das Stück kann einem viel geben, weil es viele Botschaften enthält. Am Schluss stellt es die Frage nach dem Sinn des Lebens und kommt zu dem Ergebnis, den wirklichen Sinn gibt es nicht.

BZ: Der Inhalt – Außenseiter treffen auf scheinbar normale Menschen, Menschen sterben, kommen als Geister zurück – klingt ein bisschen morbide. Erwartet die Zuschauer ein ernstes Stück oder geht es eher lustig zu?

Allweyer: Es ist ein cooler Mix. Es gibt Szenen, über die man lachen kann, es gibt ernste Szenen und das Stück wirft viele Fragen auf, aber ohne erhobenen Zeigefinger, ohne fertige Antworten. Es werden einfach Tatsachen gezeigt und jeder kann entscheiden, ob er das gut findet. Aber es soll die Zuschauer auch provozieren, Teile des Textes sind schon, sagen wir mal, pikant. Das gehört zum Gesamtstück und sollte niemanden abschrecken. Es geht auch um die Frage, wie gehen wir miteinander um.

Wipfler: Beispielsweise geht es um Vorurteile und Schubladendenken. Auch der Tod wird thematisiert: Wie gehen die Menschen damit um, wenn ein Freund gestorben ist? Mich hat das Stück zum Nachdenken angeregt.

Badische Zeitung, 28.11.2014