Presse

Wie Gretchens Auftritt in Faust zum Spiegelbild für Schauspieler wird

Nur ein Drittel der sonst möglichen Zuschauerzahlen waren bei der Premiere von „Gretchen 89ff.“ zugelassen. Doch die durften sich an einem gelungenen Auftritt des Ensembles erfreuen.

Die Kästchenszene aus Goethes „Faust 1“ hat knapp 30 Zeilen. Keine 200 Worte – ohne das Lied vom König in Thule – legt der Dichter dem Gretchen in den Mund. Doch diese Sequenz reicht dem Ensemble des Theaters im Steinbruch als Basis für ein abendfüllendes Programm, das tief blicken lässt. Am Freitag war Premiere von „Gretchen 89ff.“, einem Stück von Lutz Hübner.

Ein Hauch von Goethe weht nur zum Auftakt durch die Naturbühne, in der sich, zum Leidwesen des Vereins, nur ein Drittel des möglichen Publikums eingefunden hat. Corona bestimmt es so. Die Besucher erleben Goethe im Original nicht als stundenlanges Werk, sondern nur als Vorspiel, als Orientierung. Dass alle den Stoff noch präsent haben, der ihnen, wenn überhaupt, erstmals in der Schule begegnete, vielleicht dort aber auch zum letzten Mal, ist kaum zu erwarten.

Vorbereitet, was sie erwartet, werden die Premierengäste vor jeder der zehn Szenen. Mal direkt vor den Zuschauerrängen, mal auf der Seite oder vom Balkon des Schlosses aus „1001 Nacht“, dem Kinderstück, werden solo oder im Duett die Charaktere skizziert, die im Folgenden sehr bunt ausgemalt werden.

Überzeichnen ist das Stilmittel des Autors bei seiner Charakterstudie aus der Welt des Theaters, wobei er in der Beziehung von Regisseur und Schauspielerin schon reichlich Stoff findet. Ergänzt wird das Panoptikum der Theaterpersönlichkeiten durch den mit glänzenden Augen alles verklärenden Hospitanten und einen Requisiteur, der für die in Leid badenden, vor Eifersucht auf die Kolleginnen triefenden und am Provinztheater viel zu wenig beachteten Schauspielerinnen kaum mehr als Luft ist.

Um die Kästchenszene selbst, das wird schnell offensichtlich, geht es den Akteuren nicht. Vielmehr sind hier alle beim Theater, weil es in erster Linie um sie selbst geht. Da sind sich die Anfängerin, die sich wochenlang Gedanken gemacht hat und dann den Regisseur mit all ihren Vorschlägen erschlägt, und der alte Haudegen, den nach dem Motto „früher war alles besser“ eigentlich nichts mehr interessiert, letztlich sehr ähnlich. Ebenso wie der den existenziellen Schmerz Suchende und der in jedem Wort eine sexuelle Anspielung sehende Spielleiter. Im Endeffekt führt das alles immer wieder vor Augen, dass sich da zwar Menschen auf einer Bühne begegnen, jedoch nie auf Augenhöhe.

Zehn Szenen voller Extreme und somit eine echte Herausforderung für die 19 Schauspieler, die den Balanceakt finden, das Extrem zu spielen, ohne dabei den Bogen zu überspannen. Sprachlich sicher und ausdrucksstark, in Gestik und Mimik klar, gelingt den Laien der Spagat zwischen zu wenig und überzogen. Herausfordernd, dass sie dabei ganz auf sich allein gestellt sind, in den Minuten, in denen sie auf der Bühne stehen, volle Intensität von ihnen gefordert ist. Denn da stehen nur sie und ihr Gegenüber, nicht noch, wie in früheren Produktionen, Kollegen einer bühnenfüllenden Großszene. Und das alles auch nicht in einem Aufmerksamkeit bindenden Bühnenbild. Schauspieler pur, die auf das Wesentliche herausgearbeitete Charaktere spielen.

Ob ihnen das so gut gelingt, weil sie als Theatermacher letztlich auch sich selbst spielen, bleibt offen. Regisseur Benedikt Bachert hatte zumindest bei den Proben mit Augenzwinkern eine eventuelle „therapeutische Wirkung“ nicht ausgeschlossen, Ensemble-Neumitglied Lea Eckes aber gerade auch das Zusammenarbeiten auf Augenhöhe beim Theater im Steinbruch hervorgehoben. Ganz sicher jedoch ist „Gretchen 89ff.“ kein Kompromissstück, weil Corona anderes nicht zuließ. Inhaltlich ist es jedenfalls so nah am Leben dran, wie kaum ein anderes Bühnenwerk. Nicht eine schöne Geschichte wird hier erzählt, sondern die „rätselhafte Spezies Mensch“ vor Augen geführt. Eine Spezies, der wir nicht nur beim vergnüglichen Theaterabend begegnen, sondern Tag für Tag.

Badische Zeitung, 05.07.2021

Gretchen bekommt ihre eigene Bühne

Das auf der Kästchenszene aus Goethes Faust basierende Stück „Gretchen 89ff.“ erhält letzten Schliff vor der Premiere, die am 2. Juli über die Bühne gehen soll.

Die 19 Schauspieler des Theaters im Steinbruch feierten am Sonntag ihre eigene Premiere. Viele Szenen des Erwachsenenstücks „Gretchen 89ff.“ sehen sie bei der Durchlaufprobe selbst zum ersten Mal. Was die Mitspieler bisher geübt haben, geschah überwiegend im kleinen Kreis, zumeist per Video-Schaltungen, erst seit kurzem in Präsenz. Und nun drängt die Zeit. Knapp zwei Wochen bleiben bis zur Premiere vor Publikum am 2. Juli.

Dort, wo die Theaterbesucher dann coronakonform sitzen werden, haben sich die Laienschauspieler zur Probe ihre Plätze eingerichtet. Immer auf Abstand bedacht, wofür die überdachte Haupttribüne gut Platz bietet. Bei den Präsenzproben wird streng darauf geachtet, dass die GGG-Regeln eingehalten werden. Viel größer als die Sorge vor einem Texthänger ist die vor dem Virus in der Truppe, der auch so schon so vieles auf den Kopf gestellt hat.

An eine Aufführung von Romeo und Julia, auf dem Spielplan für 2020 und dann abgesagt, war auch bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs nicht zu denken. Allein schon, weil dabei zu viele Personen zu dicht gemeinsam auf der Bühne gestanden wären. So fiel die Wahl auf „Gretchen 89ff.“ von Lutz Hübner, der letztlich zehn Zweipersonenstücke aneinanderreiht. Den roten Faden dabei liefert die „Kästchenszene“ aus Goethes Faust, die sich, „zumindest in der alten Fassung der Reclam-Hefte“, so Regisseur Benedikt Bachert, auf Seite 89 und folgenden finden lässt. Mit dieser wird dann auch das Stück eingeleitet, „damit die Besucher vorher nicht noch mal bei Goethe nachschlagen müssen“.

So ließ sich die Probenarbeit von den jeweiligen Szenen-Duos relativ autark und kontaktarm gestalten, erklärt Bachert. Auch der jeder Szene vorangestellte Prolog läuft nach dem gleichen Strickmuster ab. Zugleich erlaubt die Struktur des Stücks, Ausfälle, die niemand will, wenn sie dann doch kommen, recht unkompliziert zu kompensieren. „Im schlimmsten Fall lassen wir dann eine Szene weg“, so Bachert. Gut möglich, denn die Szenen aus dem Theaterleben bauen nicht aufeinander auf. Konzentriert, regelrecht spartanisch im Vergleich mit früheren Produktionen, fällt zudem das Bühnenbild aus. „Weil wir in der Welt des Theaters spielen, spielen wir in einem Theater, in dem gerade 1001 Nacht als Kinderstück inszeniert wird“, so der 30-Jährige.

Es mag so vieles wie ein von den Umständen geforderter Kompromiss aussehen, doch der erste Eindruck der Probenarbeit belehrt eines Besseren. „Es geht letztlich darum, dass die Schauspieler ihre Rolle ausleben und dabei Spaß haben“, so Bachert. Es müsse deutlich werden, was unter dem Text lebt. Für ihn ganz wichtig, dass bei allem Agieren, bei allem Verstehen, was der Darsteller weshalb tut, das Spielerische nicht verloren geht. „Nicht umsonst heißt es Schauspiel“, so der Theaterpädagoge. Bei der Durchlaufprobe lässt er den Akteuren deshalb auch freie Hand, ruft nur gelegentlich mal „lauter“ dazwischen.

Das Tempo durch kurzes Fingerschnipsen forcieren, wie er es angekündigt hat, muss er nicht, denn mit dem Start legen die Laien mit großer Intensität los. Die eine oder andere Anmerkung spart Bachert sich auf für ein direktes Gespräch, Stichworte sammeln sich im Protokollbuch. Mit Spannung verfolgen die Schauspieler, die gerade nicht dran sind, das Agieren ihrer Kollegen und manch einen Lacher können sie sich nicht verkneifen. Schließlich kennen sie bis dahin selbst die Pointen nicht. Zum Ende gibt’s als Lohn immer wieder Szenenapplaus. Spürbar ist: Die Truppe selbst ist voneinander begeistert.

Dann kommt, was alle erhofft hatten, dass es für diesen Abend vorüber geht. Der Guss vom Himmel sorgt für eine Unterbrechung, die Requisiten werden ins Trockene gebracht und die Akteure versammeln sich unterm Tribünendach. Auch jetzt erweist sich das Stück als Glücksgriff. Selbst da, auf und zwischen den Sitzreihen, lässt sich als trockene Alternative zur ebenen Bühne weiterproben. Rückenlehnen sind kein Hindernis, das den Dialog ins Stocken bringen könnte. Voller Energie geht es zur Sache, wogt das Geschehen hin und her. Deutlich wird, das aktuelle Stück des Theaters am Steinbruch lebt fast ausschließlich von den Typen, die auf der Bühne stehen und nicht von all dem Drumherum. Charaktere, die in der Welt des Theaters überspitzt dargestellt werden, die sich jedoch nicht nur dort finden. „Ich bin mir sicher, dass es nicht einen Besucher geben wird, der am Ende in einem der Charaktere nicht eine Person aus seinem Bekanntenkreis wiederentdeckt hat“, so Regisseur Bachert. „Gretchen 89ff.“ ist ganz nah dran am wirklichen Leben.

Badische Zeitung, 23.06.2021

„Theater im Steinbruch“ startet in die Saison 2021

Nachdem die Theatersaison 2020 der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist, sind die Akteure des „Theaters im Steinbruch“ nun umso motivierter und brennen richtig darauf wieder auf der Bühne zu stehen. Bis zu den Premieren-Vorstellungen des Kinder- und Erwachsenenstücks bleibt nur noch wenig Zeit und die Proben laufen auf Hochtouren. WZO-Redakteur Thomas Gaess besuchte das Freilichttheater am Wochenende und sprach mit den Verantwortlichen.

Derzeit wird im Steinbruch fast jeden Tag geprobt und die Regisseure sind mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Angepasst an die besondere Situation wurden geeignete Stücke ausgewählt, die einen gesicherten und coronakonformen Probenbetrieb in Kleingruppen zulassen. Silvia Gschwendtner und ihre Laiendarsteller studieren das Kinderstück „1001 Nacht“ ein, ein echter Klassiker. Das Stück „Robin Hood“, das eigentlich im letzten Jahr zur Aufführung kommen sollte, sei in der Pandemie nicht geeignet, denn da werde gesungen und gekämpft, erklärt die Regisseurin.

Jede Szene wird einzeln geprobt. Seit rund zwei Wochen sind die 15 Akteure im Alter zwischen zehn und 28 Jahren nun auf dem Freilichtgelände im Einsatz. „Die Vorbereitungen laufen sehr gut. Seit anderthalb Wochen dürfen wir mit bis zu 20 Darstellern proben“, zieht Gschwendtner am vergangenen Freitag Bilanz. Doch die Zeit drängt und die Premiere rückt näher. Unter normalen Umständen sind sechs Monate anberaumt, um das Stück einzustudieren. Dieses Jahr haben die Beteiligten nur noch vier Wochen Zeit und die Tatsache, dass beim Kinderstück neun neue Akteure auf der Bühne stehen, macht die Sache für die Regisseurin nicht einfacher. Nichtsdestotrotz sind alle hochmotiviert und freuen sich auf die Auftritte. Vor rund zwei Monaten haben die Vorbereitungen angefangen. Die Rollen wurden verteilt und Zuhause einstudiert. Die ersten Proben fanden noch per Videokonferenz statt. Auch der Bühnenbau und die entsprechende Technik seien relativ kurzfristig bewerkstelligt worden. „Es gab viel Arbeit im Hintergrund“, so Gschwendtner.

Während der gut einstündigen Probenarbeit hält sich die Regisseurin weitgehend zurück, beobachtet genau und macht fleißig Notizen. Danach kommt die „Manöverkritik“, die moderat ausfällt. „Genießt eure Texte und haltet immer die Köpfe oben, wenn ihr sprecht, damit euch die Zuschauer besser sehen können“, merkt sie an. Im Laufe der Arbeit wurden manche Szenen angepasst. Das Kinderstück von Tobias Goldfarb wird in der Originalfassung gespielt. „Mit den spannenden Geschichten aus 1001 Nacht entführen wir unsere jungen Zuschauer in eine Welt von märchenhaften Schätzen, wundersamen Geheimnissen und gewaltigen Geistern“, macht die Regisseurin, die von Kathleen Blust, Annika Busch und Lutz Konkol (Regie-Assistenz) unterstützt wird, Lust auf mehr. „Corona bedingt mussten wir leider eine Rolle streichen. Fünf Rollen sind doppelt besetzt.“ Die Premiere startet am 27. Juni, die Derniére ist für den 8. August geplant. Insgesamt sind 12 Aufführungen terminiert, die meisten finden am Sonntag statt. Die Spieldauer inklusive Pause beträgt anderthalb Stunden.

Die 19 Amateurschauspieler des Erwachsenenstücks „Gretchen 89 ff.“, das eine Woche nach dem Kinderstück Premiere feiern wird, begannen am 26. Mai mit den Präsenzproben. Alle haben sich im Vorfeld Zuhause und über „Zoom“ gut darauf vorbereitet. Leseproben und anderes mehr wurden per Internet durchgeführt. Das coronakonforme Erwachsenenstück präsentiert sich in einer neuen, ungewohnten Form. Es werden zehn komplett autarke Szenen aufgeführt. Autor Lutz Hübner liefert den passenden Stoff dafür. Mit „Gretchen 89 ff.“ lässt er das Publikum hinter die Kulissen des Theaters blicken und an skurrilen, humorigen Probeprozessen teilhaben. Die Besucher sind sozusagen mittendrin. Am Beispiel der „Kästchenszene“ des Gretchens aus Goethes Faust – bei Reclam zu finden ab Seite 89 ff. – werden die Stereotype des Theaters in schonungsloser, offener Weise zur Schau gestellt. Benedikt Bachert führt Regie und wird von Regine Bachert unterstützt. Durch die komplett autarken Szenen mit jeweils nur zwei Darstellern (Regisseur und Schauspieler) wäre eine eventuell nötige Umbesetzung kein Problem. Wenn es erforderlich wäre, könnten auch einzelne Szenen weggelassen werden, erklärt Gunter Hauß, Schauspieler und Marketingverantwortlicher des Theatervereins. „Dieses Stück ist ganz anders als unsere bisherigen Aufführungen. Das ‚Gretchen‘ ist eher für eine Saalveranstaltung geeignet. Der Vorteil dabei ist, dass wir in kleinen Gruppen arbeiten können“, erklärt der Regisseur. Bachert ist mit der Probenarbeit sehr zufrieden, zumal die Akteure in den letzten drei Monaten ihre Hausaufgaben gewissenhaft erledigt haben. Anders als die Regisseurin des Kinderstücks klinkt er sich aktiv in die Szenen ein und gibt den Darstellern lautstark Hilfeleistung in Sachen Aussprache, Betonung, Gestik oder Mimik. Somit fällt die Kritik danach nur kurz aus.

Bei unserem Besuch am Freitag standen die Proben zum Szenenstück „Die Diva“ an, die sich selbst für die unantastbare Göttin des Theaters hält, deren Ansprüche aber an der Realität scheitern. Silvia Bender als Schauspielerin und Olav Seyfarth in der Rolle des Regisseurs setzen die spielerischen Vorgaben schon gut um. Doch Benedikt Bachert will noch mehr und stachelt die Akteure zu Höchstleistungen an. Nach zwei Proben wird erstmal eine Pause gemacht und dann geht es weiter. „Innerhalb von vier Wochen müssen die Szenen perfekt im Kasten sein, da gibt es noch viel zu tun“, so Bachert im WZO-Gespräch. Die gesprochenen Texte orientieren sich absolut am Original. Die Premiere findet am 2. Juli statt. Bis zum 14. August sind insgesamt 15 Aufführungen vorwiegend am Freitag und Samstag geplant. Die Spieldauer inklusive Pause beträgt zweieinhalb Stunden. „Wir sind eines der wenigen Amateurschauspieltheater in der Region, die in der Pandemiezeit mit einem vollen Programm aufwarten“, erklärt Hauß.

Mit insgesamt 27 Aufführungen zieht man mit den Vorjahren gleich. Doppelvorstellungen wird es keine geben, erstmals sind jedoch Aufführungen am Mittwochabend geplant. Da die Mindestabstände bei den Theatervorstellungen eingehalten werden müssen, kann das Steinbruch-Areal nur zu rund einem Drittel ausgelastet werden. „Wenn es optimal läuft, haben wir Platz für maximal 170 Besucher. In normalen Zeiten können wir bis zu 450 Besucher unterbringen. Deswegen wären wir froh, wenn sich möglichst viele Gruppen für die Aufführungen anmelden würden“, betont der Marketing-Verantwortliche.

Emmendinger Tor, 16.06.2021