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„Kann mir jemand eine Wimper leihen?“

Im Winterstück „Ganze Kerle“ widmet sich das Theater im Steinbruch der Travestie

Freitagabend in der Theodor-Frank-Schule. Die Aula wurde in ein Theaterhaus verwandelt, die Empore gleicht einem Nachtclub. Aus einem leuchtenden Torbogen mit Glitzervorhang treten junge Männer in sexy Frauenklamotten auf die Bühne. Nacheiner singen sie Popsongs und tanzen lasziv dazu.

„Ganze Kerle“ lautet der Titel des diesjährigen Winterstücks des Theaters im Steinbruch. In dem Stück von Kerry Renard – übrigens eine Frau – geht es um Travestie. Die Story ist recht simpel. Der schnöselige Hypochonder Joachim Löwitzsch (Lorenz Allweyer), der cholerische Alkoholiker Paul Kemper (Johannes Wipfler), der spanische Sunnyboy Manuel Rodriguez (Lukas Kadlec) und der moppelige Buddhist Tom Hübner (Lukas Bürgin) fristen beim Südbadischen Paketdienst (SPD) ihr wenig erfülltes berufliches Dasein. Weil es in der Firma schlecht läuft, hat ihnen der zugeknöpfte Versandleiter Frank Kollmann (Clemens Allweyer) sogar das Weihnachtsgeld gestrichen. Einziger Zufluchtsort ist der Umkleideraum, in dem die vier Freunde nach Dienstschluss frei und unbeschwert abledern können.

Das Stück nimmt Fahrt auf, als Tom zufällig mitbekommt, dass die Tochter des Chefs dringed 10.000 Euro für eine Augen-OP benötigt. Das Quartett beschließt, das Geld aufzutreiben. Die Lösung soll eine Travestie-Show bringen. Nach anfänglichem Protest („Eine Schwuletten-Show!“) gehen die vier Jungs in ihren Rollen völlig auf („Kann mir jemand eine Wimper leihen?“). Gedrillt von Jogis divenhafter Mutter (Jasmin Baumgratz) studieren sie in der Umkleidekabine nach und nach eine professionelle Top-Performance ein („Es hat niemand behauptet, dass es einfach ist, eine Frau zu sein“). Die Vorfreude steigt ins Urermessliche, als das Quartett feststellt, dass alle vier Shows ausverkauft sind. Doch da kriegt Kollmann von der Sache Wind.

Rund 150 begeisterte Zuschauer erlebten am Freitagabend in der ausverkauften Aula der Theodor-Frank-Schule die Premiere. Am Samstag und Sonntag folgten an gleicher Stelle noch zwei weitere Vorstellungen. Verzückt waren die Gäste vor allem vom Ende des Stücks. Dass das Ganze doch noch in einer knallenden Travestie-Show endet, versteht sich von selbst. Weil am Freitag und Samstag (jeweils 20 Uhr) sowie am Sonntag (18 Uhr) in der ZfP-Halle das Stück vor bereits ausverkauftem Haus noch dreimal aufgeführt wird, soll an dieser Stelle nicht mehr viel verraten werden.

Nur zwei Appetithäppchen: zum einen fühlt man sich als Zuschauer am Ende des Stücks tatsächlich in einen Nachtclub versetzt. Die schummrige Beleuchtung, der Spot, die Musik, der glitzernde Torbogen, das johlende Publikum und vor allem die Schauspieler selbst geben einem das Gefühl, mitten in einer Travestieshow zu sein. Unter der Leitung von Jasmin Baumgratz hatten die Akteure seit Oktober die Choreografien einstudiert. Das macht sich bemerkbar. Nicht nur Perücken, Make Up und die sexy Klamotten, sondern vor allem die Bewegungen stimmen. Die Performance reißt einen mit.

Zum anderen betritt das Theater im Steinbruch mit dem Travestie-Thema wieder einmal Neuland. Dass hierfür die junge Schauspielgarde ausgesucht wurde, passte perfekt. Regisseurin Simone Allweyer hat hier den richtigen Riecher bewiesen. Den Jungs merkt man an, dass sie Lust haben, in die Frauenrollen zu schlüpfen. In der ein oder anderen Szene merkte man auch, wie sie sich selbst abfeiern. Über den Tellerrand hinausgeblickt setzt das Theater im Steinbruch gleichzeitig ein Zeichen für Offenheit und Toleranz. „Wir sind nicht schwul, das ist Kunst“, sagt Jogi im Stück. „Doch ich“, outet sich Tom im selben Moment und erfährt Zustimmung von allen Seiten.

Emmendinger Tor, 12.02.2020

Nur ganze Kerle können Travestie

Premiere des Winterstücks des Theaters im Steinbruch mit 150 begeisterten Zuschauern.

Zum ersten Mal tritt das Theater im Steinbruch auf andere Bühnen auf. Und die Reise hat sich offenbar gelohnt, denn die Premiere in Teningen war mit 150 Zuschauern ausverkauft und die Zuschauer kommen voll auf ihre Kosten bei dieser rasanten und Spaß machenden Komödie „Ganze Kerle“ aus der Feder der kanadischen Autorin Kerry Renard. Am Wochenende folgen gleich drei Auftritte in der Festhalle des ZfP in Emmendingen.

Kein Auge blieb trocken, denn es gab jede Menge absurder Szenen, witzige Dialoge und viel zu lachen. Regie führte Simone Allweyer. Die Aufführung war ein lang gehegter Wunsch der Regisseurin.

Die Bühne ist umgebaut zu einer Umkleide mit Spinden und Bänken, in denen sich die Paketboten des Süddeutschen Paketdienstes umziehen und sich für die Tagestour fertig machen. Im Hintergrund liegen die auszuliefernden Pakete. Schlicht und einfach sind die Requisiten, dennoch glaubwürdig, schließlich erfüllt die Umkleide einen doppelten Zweck – auch für die Wandlung der Darsteller, die über sich hinauswachsen und bald Frauenkleider tragen werden.

Es ist gerade Weihnachten, und die Paketauslieferer packen so ihre eigenen Päckchen aus. So packt Manuel Rodriguez (Lukas Kadlec) ein chinesisches Kochbuch aus. „Der Weihnachtsmann weiß alles.“ Tom Hübner (Lukas Bürgin) erhält als Geschenk eine Dose mit Ingwerkeksen. Die Paketboten necken sich untereinander, denn Tom weiß, dass Joachim „Jogi“ Löwitsch (Lorenz Allweyer) ein Hypochonder und Allergiker ist. „Ingwerallergie, der Jogi kennt sie bestimmt.“ Jogi wohnt noch zu Hause bei der Mutter (Jasmin Baumgratz), die aus den Erzählungen von Jogi bieder und umsorgend erscheint. Später kommt noch Paul, der vierte Paketbote, hinzu, der gerne zum Alkohol greift. Er kommt mit einem blauen Auge an und erklärt, dass er das Weihnachtsgeschenk für seine Freundin vergessen habe. Auf alle vier wartet ein einsames Weihnachtsfest. Dennoch scheinen sie mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein und erledigen sie gerne. „Vom Leben vergessen, und hier hängen geblieben.“

Sie ertragen auch die Allüren des biederen und humorlosen Niederlassungsleiters Frank Kollmann (Clemens Allweyer), der beim Süddeutschen Paketdienst nur ein Rädchen im Getriebe ist und seinen Untergebenen nahelegt: „Wir müssen zusammenrücken. Die Konkurrenz in Osteuropa ist zu groß“. Wichtig sei es, die Kunden glücklich zu machen. Alle Darsteller gehen in ihre Rollen auf, sind quicklebendig und ausdrucksstark und verkörpern sehr glaubhaft diese Paketboten, den Niederlassungsleiter und die Mutter. Mit Wortwitz und rasanter Spielweise treiben sie das Stück voran, und es gibt eigentlich keine Szene, die auch nur ansatzweise langweilig zu nennen wäre.

Dann erfährt Jogi, dass Betty die Tochter des Chefs 10 000 Euro für eine Augenoperation braucht. So überlegen die Paketboten, wie sie die Summe auftreiben können, da in der Trinkgeldkasse nur 312 Euro sind. Schließlich lesen sie eine Anzeige über eine Travestie-Show in Paris. Und da ist die rettende Idee: Männer in Fummel und Pumps. Die Kartenverkäufe laufen gut. So brechen die vier Paketboten in die Umkleide ein und beginnen für die Travestie-Show in Frauenkleidern zu proben.

Zudem sind sie plötzlich auch mit dem Thema Homosexualität und dem Anderssein konfrontiert. „Ich lauf nicht mit einem Fummel herum“, ist Jogi zunächst entsetzt. Doch Manuel finden langsam Gefallen an die neue Rolle und fordert die anderen auf: „Zeig mal Bein.“ Während die Paketboten überlegen, ob sie als Madonna, Helene Fischer oder Beyoncé auftreten, taucht plötzlich Jogis biedere Mutter mitten in der Probe auf.

Die zweieinhalb Stunden inklusive Pause werden sehr kurzweilig und der Zuschauer fiebert auf den Ausgang der Komödie. So gibt es dann auch von den Zuschauern zum Schluss lang anhaltenden Beifall und Standing Ovations. Hut ab vor diesem Ensemble des Theaters im Steinbruch.

 

Badische Zeitung, 11.02.2020

Emmendinger Theater im Steinbruch hat Premiere in Teningen

Am Freitag, 7. Februar, findet die Premiere des Theaters im Steinbruch statt. Wie das wird? Unterhaltsam! Ein Probenbesuch.

Am Freitag hat das Theater im Steinbruch Premiere mit dem Stück „Ganze Kerle“ von Kerry Renard. Darin beschließen vier Paketboten vom „SPD“, dem Südbadischen Paketservice, Geld für eine Operation zu sammeln, die das Augenlicht der Tochter ihres Chefs retten soll. Ihre Idee: eine Travestieshow. Und da es eine Komödie ist, gibt’s viele Verwicklungen und Überraschungen.

Wie wird’s bei den „Ganzen Kerlen“?
Mit Sicherheit mitreißend, lustig und zum Tränen lachen, ohne dass das Stück in platten Klamauk verfällt. Selbst etwas Lokalkolorit hat das Team eingebaut. Schon beim Besuch der ersten Durchlaufprobe – so nennen die Theaterleute eine Probe „am Stück“, nachdem zuvor die einzelnen Szenen geprobt wurden – fällt das Fotografieren schwer: Wortwitz und Situationskomik machen viel zu oft eine ruhige Kamerahaltung zunichte!

Warum sollte man hingehen?
Weil das Team zu dem Stück passt wie die Faust aufs Auge – als hätte es die Kanadierin für die Schauspieler des Theaters im Steinbruch geschrieben. Weil sie völlig in ihren Rollen aufgehen und wie immer an Kleinigkeiten feilen, bis alles passt – von der Show über die Schminke bis zum Schuh. Weil das Stück einen rundum vergnüglichen Abend verspricht – und mehr.

Was ist das „Mehr“?
Es ist – ohne erhobenen Zeigefinger – zugleich eine Geschichte von Freundschaft, Menschlichkeit und Zusammenhalt, gegen Ausgrenzung und Vorurteile.

Was sagt das Team zum „Stöckeln“?
Das Tanzen auf den Highheels sei für die „Ladys“ im Ensemble sehr schnell kein Problem gewesen, sagt Regisseurin Simone Allweyer. Da gab’s mehr Probleme mit den Schuhen – einige hielten der Belastung der vielen Tanzproben nicht stand und mussten zur Überholung in die Schuhmacherwerkstatt Bär.

„Für mich ist das Gehen in Highheels eher kein Problem und ich habe sogar Gefallen daran gefunden… Was mir eher zu schaffen macht, ist das Rasieren der Beine und das Tanzen mit Perücke“, sagt Karl-Heinz Knackig (Künstlername Michelle Surprise) alias Michel Köllermann, dessen Rolle nachträglich eingefügt wurde – um eine Umzieh – und Schminkpause zu überbrücken. Der Chef im Stück, Frank Kollmann alias Clemens Allweyer, sagt: „Mit Damenschuhen zu laufen ist nicht das Problem, aber Nylonstrümpfe gehen gar nicht!“ Manuel Rodrigues, alias Lukas Kadlec hat auch keine Probleme mit High Heels. Er sagt: „Mir ist bei dieser Produktion wieder aufgefallen, wie gut (auch) Männer in Kleidern aussehen.“ Ellen Löwitzsch alias Jasmin Baumgratz trainiert die Jungs und hält sich an ein Textzitat: „Es hat niemand gesagt, dass es leicht sein würde, eine Frau zu sein. Dafür hat Gott nur die Besten ausgewählt.“

Noch Fragen? Dann auf zu den „Ganzen Kerlen“!

Badische Zeitung, 06.02.2020

Travestieshow mit Tanzeinlagen

BZ-INTERVIEW mit Regisseurin Simone Allweyer und Choreographin Jasmin Baumgratz über das Winterstück „Ganze Kerle“.

Temporeich und voller Witz – so kennt man die Winterstücke des Theaters im Steinbruch. Nun steht im Februar „Ganze Kerle“ auf dem Spielplan, eine Komödie von Kerry Renard. Die Proben laufen auf Hochtouren. Sylvia-Karina Jahn sprach darüber mit Regisseurin Simone Allweyer und Choreographin Jasmin Baumgratz.

BZ: Eine Travestieshow als Winterstück des Theaters im Steinbruch – wie kam’s dazu?
Allweyer: Ich habe das Stück im Internet gefunden, durchgelesen und ich fand die Dialoge witzig und gut. Gereizt hat mich die Travestieshow, die die Jungs in dem Stück einstudieren. Aber auch der Hintergrund: Sie sind hilfsbereit, jeder wird akzeptiert, wie er ist und man merkt, die mögen sich – das wollte ich auf der Bühne sehen. Weil ich aber von Show und Tanz nicht so viel Ahnung habe, habe ich Jasmin Baumgratz gefragt; sie ist Tänzerin.

BZ: War es schwer, die Rollen zu besetzen?
Baumgratz: Das Stück stand schon vor Jahren mal auf dem Zettel, nur haben wir damals kein Ensemble dafür zusammen bekommen. Jetzt gibt es eine Horde Jungschauspieler, die Lust darauf haben, das zu spielen. Also: nein.

BZ: Worum geht es bei diesem Stück?
Allweyer: Es erzählt von vier Paketboten beim Südbadischen Paketdienst, die erfahren, dass die Tochter ihres Chefs eine Augenoperation benötigt. Doch woher das Geld nehmen? Der Jüngste hat die Idee einer Travestieshow, sie fangen an, die Geschichte einzustudieren. Eine Mutter ist Tanzlehrerin (gespielt von Jasmin Baumgratz) und hilft ihnen dabei.

BZ: Wie geht es voran? Seit wann proben Sie, und ist der Aufwand höher als bei früheren Stücken?
Allweyer: Im Oktober begannen die Leseproben und Rollenbesprechung, im November und Dezember die Szenenproben, drei- bis viermal die Woche, und jetzt sind wir dabei, die Szenen zusammenzufügen. Der Aufwand ist an sich vergleichbar mit unserem vorherigen Stück, den „39 Stufen“ – und durch die Tanzerei dann doch höher. Im Moment ist die Choreografie der Schwerpunkt. Derzeit proben wir noch im Vereinsheim.

BZ: Haben Ihre Schauspieler überhaupt noch Zeit für andere Dinge?
Allweyer: Das müssen sie wohl, zwei stecken voll im Studium, zwei sind zu 100 Prozent berufstätig. Daneben laufen die Vorbereitungen für das Sommerstück – vier Schauspieler aus dem Winterstück wirken auch im Sommer mit.
Baumgratz (lacht): Wir sind eben ein ganzjährig arbeitender Betrieb…

BZ: Welche besonderen Schwierigkeiten stellen sich bei der Inszenierung?
Allweyer: Allein schon, Schuhe zu finden, in denen die Jungs laufen können! Und nach der letzten Szene müssen alle schnell perfekt gestylt und geschminkt werden. Auch mussten die Jungs daran gewöhnt werden, sich als Frauen zu bewegen.
Baumgratz: Wenn Männer Frauen spielen dürfen, sind sie wie kleine Kinder. Aber sie haben auch gemerkt: Das ist Arbeit. Sie machen sie – und sie machen sie gut. Alle kommen aus der Jugendgruppe des Vereins, sie können sich aufeinander verlassen. Sie haben Routine – aber auch jede Menge Spaß.

BZ: Was ist aus Ihrer Sicht das Highlight?
Allweyer: Ich glaube, der Spaß, den die Jungs am Spiel haben – dieser Funke wird auf das Publikum überspringen. Und die Show am Schluss ist ein besonderes Highlight. Aber es steckt mehr dahinter: Mich fasziniert an dem Stück die Botschaft, jeden Menschen so zu nehmen, wie er ist – und das ohne erhobenen Zeigefinger.
Baumgratz: Es geht darum, dass nicht die Äußerlichkeiten zählen, sondern der Mensch und der Charakter dahinter. Die Travestie dient dazu, Dinge auszuleben, die an manchen Ecken der Gesellschaft anecken könnten. Hat jemand Lust auf hohe Schuhe und Damenkleider, heißt das ja nicht, dass er schwul ist. Stattdessen: Jeder darf so sein, wie er sich fühlt.

BZ: Die Premiere findet erstmals in Teningen in der Theodor-Frank-Schule statt. Ist das der Anfang eines Tournee-Theaters oder was sind die Gründe dafür?
Baumgratz: Wie wollten auch mal in andere Ortschaften. Es ist ein Versuch – und es ist eine Herausforderung für die Technik, weil wir alles hintransportieren müssen. Aber das Stück eignet sich, es kommt mit wenigen Requisiten aus. Wir spielen erst mal nur an zwei Wochenenden und probieren die Logistik aus – wir werden sehen, ob ein Tourneetheater daraus wird. Und ob wir an anderen Spielorten auch anderes Publikum bekommen.

Badische Zeitung, 18.01.2020