Presse

Exkursion durch die „Lehmgrube“

Das Theater im Steinbruch in Emmendingen präsentierte sich am Sonntag mit einem gelungenen Tag der offenen Tür.

„Jetzt kommt der gefährlichste Teil der Exkursion.“ Clemens Allweyer, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Theaters im Steinbruch, macht es spannend. Er führt eine Besuchergruppe beim Tag der offenen Tür des Amateurtheaters am Sonntag hinter die Kulissen.

„Da ist schon einiges ’runtergekommen, Felsbrocken, aber auch mal ein lädiertes Huhn“, verrät er. Die Rede war auch schon von einem Sicherheitszaun, doch der würde den Schauspielern einen Weg auf die Bühne versperren. „Wir brauchen den Zaun nicht“, sagt Allweyer nonchalant, „wir dachten, das Risiko gehen Sie heute gern ein und sonst – nun, wir haben genügend Spielinteressenten.“ Außerdem gebe es Leute, die den Steinbruch, nach dem sich das Theater nennt, als schnöde Lehmgrube bezeichnen. Theater im Lehmloch wäre aber doch kein passender Name und da sei es gut, wenn sich der Steinbruch seinen Namen wenigstens mit Steinschlag verdient…

Doch Spaß beiseite (auch wenn der beim gut besuchten Tag der offenen Tür im Vordergrund stand). Zwar gelte die Theaterweisheit „vorne hui, hinten pfui“, doch nicht für die Sicherheit. Da mögen die Handläufe der Treppen roh gezimmert sein und nach Dachlatten aussehen, doch Lichtschlangen sichern auch bei Dunkelheit einen sicheren Abgang.

Allweyer macht aus der Führung fast ein kleines Theaterstück. Das beginnt mit den Requisiten früherer Aufführungen im Park. Klar, dass die Kinder wissen, dass die Hoppetosse das Schiff von Ephraim Langstrumpf ist, dem Vater der legendären Pippi. Aber wer hätte gedacht, dass er es von der „Wilden 13“ übernommen hat, als die Räuber in Rente gingen? Auch das Rumfass hat schon etliche Aufführungen hinter sich; am Sonntag weist es ganz solide den Weg zu Kaffee und Kuchen im Vereinsheim. Allweyers Anekdotenrepertoire ist schier unerschöpflich.

„Das ist spätes 20. Jahrhundert und stammt von unserer Vorgängerbühne“, verkündet er in bester Stadtführermanier vor der ausgedienten Eisenbahnerbaracke, die 1982 mit Hilfe des Technischen Hilfswerks aufgebaut wurde. Das THW kam auch mit dem pneumatischen Kissen, als 2006 ein zur Gestaltung des Parks ausgeliehener Radlader umkippte und dem Verein einen Schaden von 2000 Euro und 800 Euro fürs THW bescherte.

Vereinsheimzustand, Lagerengpässe: „Unser Baubedarf ist unendlich“, sagt Allweyer; Vorrang hat aber der Wunsch, eine größere Tribüne zu bauen, mit 250 statt bislang 160 überdachten Plätzen. Doch die würde 140 000 Euro kosten, zu viel für den Verein allein; Zuschüsse vom Verband gibt’s aber nur, wenn sich die kommunale Seite mit einem Drittel beteiligt. Der Verein hat in den vergangenen Jahren für 95 000 Euro Kasse, Lager und Toiletten gebaut, weitere 45 000 Euro für das zweite Kassengebäude investiert. Und so bleibt es erst mal bei Theorie und Praxis, Ordnung und Chaos in friedlicher Koexistenz: Lagerraum ist knapp, Mobiliar zu schade zum Wegwerfen. Eng geht es in der Schminke zu („sie heißt übrigens Albert; zwei Spiegel, ein Wartesofa …“) und noch enger im Container, in dem sich 23 Schauspieler umziehen – auf geschätzten zehn Quadratmetern. Nur für die Kinder gibt’s zwei Mietcontainer, einen für Mädchen und einen für Jungen.

Den besten Blick hat die Technik ganz oben; am Sonntag auch das Publikum, das neben Bühnenbau und Maske Kostproben aus Kinder- und Erwachsenenstück genießen durfte.

Badische Zeitung, 12.06.2012

„Der ganze Verein ist eine Sucht“

BZ-INTERVIEW mit Hans-Joachim Wipfler und Jasmin Baumgratz vom Theater im Steinbruch über Jubiläum und Theaterleidenschaft.

Das Theater im Steinbruch plant für den 10. Juni einen Tag der offenen Tür und feiert außerdem ein kleines Jubiläum, nämlich zehnjähriges Bestehen. Sylvia-Karina Jahn sprach mit dem Vorsitzenden Hans-Joachim Wipfler und seiner Stellvertreterin Jasmin Baumgratz.

BZ: Sie feiern zehn Jahre Theater im Steinbruch – warum eigentlich? Die Theatertradition dort ist ja mindestens 80 Jahre älter! Und noch immer denken viele Menschen beim Steinbruch an die alte Volksbühne.

Wipfler: Wir mussten vor zehn Jahren ganz neu anfangen. Die Volksbühne war über Jahre hinweg finanziell klamm und ging in Insolvenz. Wir hatten das Glück, dass Sparkasse, Stadt und ein privater Geldgeber uns wohl gesonnen waren, und konnten in der Saison darauf das Theater im Steinbruch neu eröffnen. Es waren im Großen und Ganzen die alten Leute, aber ein komplett neuer Vorstand. Damals setzten wir uns das Ziel, nie mehr auf Zuschüsse zu zählen und nie wieder Schulden zu machen, sondern vom Eigenverdienst zu leben. Das Theater steht heute nicht nur finanziell sehr gut da; das wollen wir feiern.

BZ: In der Tat kam der Verein wie Phönix aus der Asche wieder ins Rampenlicht und die Verantwortlichen können sich über gut besuchte Vorstellungen freuen. Wie haben Sie das so schnell geschafft?

Wipfler: Der neue Vorstand – damals waren es Clemens Allweyer als Vorsitzender, ich als sein Stellvertreter und Marc Sommer als Kassierer – hat bei Stadtverwaltung und Bevölkerung schon etwas bewirkt. Wir mussten seinerzeit das Konzept im Kulturausschuss vorstellen. Von Anfang an haben wir auch eine gute, offene Pressearbeit gemacht. Dann kam uns ein superguter Sommer zu Hilfe; ein privater Geldgeber hatte uns ein Darlehen auf drei Jahre zinslos zur Verfügung gestellt und wir konnten es nach der ersten Saison zurückzahlen. Wir haben ein neues Bewirtungskonzept entwickelt und wir bieten neben zwei Sommerstücken auch ein Winterstück. All das beschert uns je nach Wetter 6500 bis 7500 Zuschauer im Jahr. Das Winterprogramm weiten wir gerade auf zwei Stücke aus. Und: Wir haben eine supergute Mannschaft.

BZ: Dabei klagen alle Vereine über Mitgliederschwund, und das, obwohl sie ja ihren Mitgliedern die Möglichkeit geben, ihrem Hobby nachzugehen. Wie ist das bei Ihnen? Amateurtheater ist ein anspruchsvolles Hobby, da kann man nicht nur abends schnell zum Training oder zur Probe düsen, man muss Text lernen und oder mitarbeiten…

Baumgratz: Da ich auch Spielerin bin, kann ich das ganz leicht entkräften. Es ist eine Frage der Eigenmotivation. Ich bin ja zum Verein gekommen, weil ich spielen möchte, da ist es kein Problem, Texte zu lernen. Zudem führt Simone Allweyer nicht nur Regie, sie bereitet uns auch auf die Rollen vor. Ich bekomme sehr viel zurück, es ist eine Form der Selbstbestätigung. Und wer weiß, dass er sich nicht vorbereiten möchte, findet auf anderen Gebieten genug zu tun.

Wipfler: „Theater ist eine Sucht“, sagt unsere Regisseurin Simone Allweyer. Ich gehe noch weiter, weil es auch für Technik, Maske und Bewirtung gilt: Der ganze Verein ist eine Sucht, und so ist es relativ leicht, Mitglieder zu finden. Auch im Kinder- und Jugendtheater. Da läuft ein großer Lernprozess, Kinder, die bei uns spielen, haben in der Regel keine Probleme in der Schule und das wissen die Eltern. Aber es stimmt schon, dass man bis August jedes Wochenende gebunden ist.

BZ: Der Verein steht in Emmendingen einzigartig da. Wie sehen Sie die Zukunft des Amateurtheaters inmitten einer Event- und Spaßkultur?

Wipfler: Im Moment habe ich da keine Bedenken. Schließlich sind wir selbst ein Event, jede Aufführung ist das für uns. Außerdem suchen die Leute auch mal etwas Ruhe, etwas Hinterfragendes, nicht nur Event und Halligalli bis zum Geht-nicht-mehr. Das merken wir auch daran, wie unser Park genutzt wird. Und unser Spielerbeirat schlägt Stücke vor, die in die Zeit passen, reagiert darauf, was gerade aktuell ist. Das Theater hat Zukunft, das sieht man auch in Breisach, Reutlingen, Ötigheim. Bei den Freilichtbühnen kommt der Freizeitcharakter dazu.

BZ: Wie sehen die Pläne für die Zukunft des Theaters aus? Sie kooperieren mit der Cinemaja, dem neuen Kino mit Kleinkunstbühne…

Wipfler: Das funktioniert sehr gut, wir können nun im Herbst und im Januar dort spielen. Beim Winterstück wagen wir immer mal wieder ein Experiment: Die Schauspieler können sich ausprobieren und wir dem Publikum etwas Besonderes bieten. Beim Woody-Allan-Stück „Spiel’s nochmal, Sam“ waren die 180 Plätze bei allen vier Vorstellungen ausverkauft und viele Leute haben keine Karten mehr bekommen, deswegen spielen wir es im Herbst erneut. Außerdem wird „Norway.today“ von Igor Bauersina gegeben, ein modernes Zwei-Personenstück.

Badische Zeitung, 06.06.2012

Ein Stück mit Grusel, Witz, Humor und ein bisschen Frivolität

PROBENBESUCH:Stevensons Novelle „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ in einer Bearbeitung von Clemens Allweyer feiert heute Abend im Theater im Steinbruch Premiere.

Rund 20 Menschen bewegen sich auf der Bühne im Theater in Steinbruch. Die meisten stecken in sehr edel wirkenden Kleidern aus der viktorianischen Zeit. Aber sie schütteln sich, sie hüpfen, sie beugen sich zum Boden (jedenfalls die, die nicht in einem Korsett stecken), lassen den Kopf kreisen, rufen und klatschen in die Hände. Nein, das ist keine Gymnastikstunde: Wir sind bei den Proben für „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, dem Erwachsenenstück des Theaters im Steinbruch, das heute Abend Premiere hat. Die Gymnastik gehört zum Spielertraining, mit dem Regisseurin Simone Allweyer die Darsteller einstimmt.

Geschrieben hat das Stück ihr Mann. Clemens Allweyer ist im Zivilberuf Oberamtsanwalt und ein bisschen Berufserfahrung fließt immer ein, wenn er ein (Kriminal-)stück verfasst; der 53-Jährige ist seit 1989 dabei und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Außerdem spielt er Sigmund Freud und einen Zuhälter.

Vier Monate Arbeit stecken in dem Manuskript, für das seine Frau erste Lektorin ist. Mit ihr bespricht er die Ideen, sie hilft beim Straffen: „Das ist sehr praktisch“, erklärt sie, „der Autor denkt doch viel in Worten, die Regie mehr in Bildern.“ Deswegen fällt ihr das Kürzen leichter. Aber sie liefert auch neue Ideen.

Es ist nach dem Mann mit der eisernen Maske und Dracula das dritte Stück, das Clemens Allweyer dem Team auf den Leib schneidert. Warum er das tut? Die Stevenson’sche Novelle würde sich eins zu eins nur als psychologisches Kammerspiel oder für einen Film eignen, sagt er; ein Freilichttheater könne man damit nicht füllen. Es gibt zwar ein Stück, dessen Inszenierung er sich angeschaut hat. „Das hat mich nicht so überzeugt“, sagt er. Die Konzentration auf drei Männerrollen sei ein bisschen wenig. Auch habe er Jekyll und Hyde nicht vom selben Schauspieler spielen lassen wollen; der habe in jener Aufführung als Hyde nie das Gesicht gezeigt, während er für Allweyer die interessantere Figur ist und entsprechend herausgestellt wird. Außerdem wollte er witzige und originelle Frauenrollen dabei haben statt der blassen Randfiguren des Originals. Klar, dass er dabei auch das Ensemble im Hinterkopf, die Personen vor Augen hat. Aber genau das liefere ihm Ideen, die dem Stück richtig gut tun, findet er. Szenen, die die Handlung nicht voranbringen, mag er nicht.

Beide sind sich einig, dass das Stück Grusel und Witz, Humor und ein bisschen Frivolität bietet. Es brilliert durch einen ständigen Wechsel der Stimmungen. Die Musik von Michael Bach hilft dabei, denn das ist ein Problem bei diesem Sommerstück: Da es erst in der zweiten Hälfte dunkel wird, sind Gruselszenen schwer zu vermitteln. Doch da hat die 46-jährige Regisseurin, die gerade ihre berufsbegleitende Ausbildung als Theaterpädagogin abgeschlossen hat, jede Menge bunter Einfälle. Das Bühnenbild hilft mit entsprechenden Farben. Ja, und die Kleidung. Die hat freilich ihren Preis. Eine Mimin lehnt dreimal die gut gemeinte Hilfe ihrer Mitspieler ab, ihre Robe zu schließen: „Erst wenn es losgeht, sonst ersticke ich!“.

Badische Zeitung, 29.06.2012

Das laszive Doppelleben des Dr. Jekyll

Am Freitag feiert das Theater im Steinbruch die Premiere seines Sommerstücks

Dunkle Zuhältergestalten, leicht bekleidete Bordsteinschwalben und ein schizophrener Wissenschaftler: Am  kommenden Freitag, 29. Juni, findet im „Theater im Steinbruch“ die Premiere für das diesjährige Sommerstück statt. Unter der Regie von Simone Allweyer führt die 23-köpfige Schauspielgruppe den Stevenson-Klassiker „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ auf. Beginn ist um 20 Uhr.

London, 1888. Beseelt vomWunsch, das Gute und Böse im Menschen physisch voneinander zu trennen, experimentiert der berühmte Arzt und Wissenschaftler Dr. Henry Jekyll heimlich in seinem Labor. Eher zufällig verwandelt er sich in Edward yde, einer Manifestation seiner dunklen Sehnsüchte, des Bösen und Lasterhaften. In der Folge treibt Mr. Hyde Nacht um Nacht sein Unwesen in den zwielichten und von Gewalt, Kriminalität und Prostitution geprägten Gassen Londons. Immer kürzer werden dabei die Abstände seiner Verwandlungen, welche Dr. Jekyll akribisch in seinem Tagebuch niederschreibt. An die Eskapaden Hydes hat Jekyll selbst keine Erinnerung, doch das Experiment entgleitet ihm zusehends. Schon bald gerät sein dunkler Doppelgänger durch Skrupellosigkeiten in den Fokus der Polizei. Besorgt sucht Jekylls Freund John Utterson Hilfe bei einem ihm bekannten Doktor aus Österreich. Doch die Zeit wird knapp. Jekyll verwandelt sich bereits unkontrolliert. Können Hydes Pläne noch durchkreuzt werden?

„Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ist die bekannte Novelle von Robert Louis Stevenson aus dem Jahr 1886, die durch das wahre Doppelleben des schottischen Kunsttischlers William Brodie (1741 bis 1788) inspiriert wurde: tagsüber ein tugendhafter Vorzeigebürger, nachts ein Krimineller, der Einbrüche beging. In der für das „Theater im Steinbruch“ eigens geschriebenen Bearbeitung von Clemens Allweyer erwartet die Besucher neben den bekannten Protagonisten viel augenzwinkernder Humor gepaart mit rasanter Action um Laster, Liebe und Leidenschaft. Bis zum 11. August wird das Stück insgesamt 16 Mal aufgeführt.

Emmendinger Tor, 27.06.2012

Der biedere Bürger wird zur Bestie

Bei der Premiere von Dr. Jekyll & Mr. Hyde im Theater im Steinbruch erlebten die Zuschauer einen schaurig-schönen Gruselabend.

Mr. Hyde (Michael Schäfer) ist ein schamloser Mensch. Er ist gekleidet wie ein Gentleman. Aber „er is’n perverser Sack und guter Kunde“ wie Prostituierte Molly klarstellt. Mit dunklen Augenringen, mit fieser Stimme raunt er: „Willst Du mich lieben oder hassen?“ Macht die anständige Klara Pölzl (heftiger Szenenapplaus für Stephanie Pleuler) sturzbetrunken, sodass die sich in der Bettenabteilung von Marks & Spencer schlafen legen wollte. Und noch vom bösen Wolf faselt „wegen dem sei kein Eierlikör für die Großmutter mehr da“.

Er verprügelt und murkst den Zuhälter ab und kauft einem angesehenen Bürger für fünf Pfund die Ehre ab. Als er sich Dr. Jekylls ganz und gar bemächtigt und ihm sein Elixier nicht mehr in dessen bürgerliche Existenz zurück hilft, erhängt er sich in einer Irrenanstalt. Aber das türkise Tröpfchen lässt ihm und dem 21-köpfigen Ensemble noch Zeit, um das gesamte Publikum mit viktorianischen Moralismen zu unterhalten. Ein köstliches Schlachtfeld fanden alle und das Premierenpublikum im Theater im Steinbruch applaudierte begeistert.

Neben ihm kommt Dr. Jekyll (Jan Bayer) etwas zu kurz. Gut so, denn er ist ebenso langweilig als angestaubter Gelehrter wie als zerstreuter Verlobter für die überspannte Gwendolyn Lanyon in Gestalt von Simone Bruder. Immer wieder fährt Jekylls Dämon, Stevensons vorausgeahnter Genforscher, nach alchimistischem Experimentiereifer in den unliebsamen Doppelgänger, in dem sich die bösen und daher abgespaltenen Persönlichkeitsanteile verkörpern. Durch Licht, Raum und Musik dargestellt: brüllend, donnernd, quietschend. Und erlebt sich als Mr. Hyde, der gewaltsam das Gute in jene Taten umsetzt, die der selbstkontrollierte Jekyll nie begehen würde.

So kann er sein Fassadendasein mit Anstand fristen, denn das schlechte Gewissen nimmt ihm ja Mr. Hyde ab, bei dem die sadomasochistischen Funken sprühen, wenn er die Prostituierten aus dem „Red Parrot“ zwischen Korsagen und Strapsen mit Hingabe quält. Hier werden jene Lüste ausgetobt, die sein besseres Ich nicht einmal zu ahnen wagte.

Was sich zwischen diesen Kokotten und dem verzweifelten Triebtäter abspielt, steigert sich zu einem der Höhepunkte des schaurig-schönen Grusel-Abends. Wie sich ein biederer Bürger nicht nur in eine blutrünstige Bestie verwandelt, sondern beide Identitäten auch säuberlich voneinander trennt, davon hatte der englische Schriftsteller Robert Louis Stevenson im Jahre 1886 in seinem Besteller berichtet.

Für das ehrbare Fräulein Diana Lanyon (Jasmin Baumgratz) endet die Liebe zu Hyde im Rollstuhl, denn das Böse siegt. „Mein Unterbewusstsein scheint Hydes Verbündeter zu sein. Ich brauche kaum noch Tinktur, wenn ich mich in ihn verwandeln will, aber eine große Menge, um wieder Dr. Jekyll zu werden. Meine Verwandlung in Hyde ohne Tinktur steht unmittelbar bevor. Ich muss das Experiment beenden“ ist seine zu spät kommende Erkenntnis.

Immer wieder, überraschend und aus allen Richtungen, tauchen Mitglieder (entzückend das Blumenmädchen) des Ensembles während des Stückes auf. Spielfreudige Amateur-Schauspieler, ein gelungenes, mit viel Humor geschriebenes Skript (Clemens Allweyer), eine ideen-sprühende Regie (Simone Allweyer) und aufwendige Kostüme aus der viktorianischen Ära machen den Theaterabend in dieser herrlichen Freiluftkulisse zu einem großartigen Erlebnis.

Badische Zeitung, 02.07.2012

Sigmund Freud meets Edward Hyde

Mit „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ gelingt dem Theater im Steinbruch der große Wurf

Gewalt, Erotik, moralische Grundsätze, historische Anleihen und feinsinniger Humor: Gut 250 begeisterte Besucher erlebten am Freitagabend im Steinbruch-Theater die Premiere von „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“. Mit der Inszenierung des Stevenson-Klassikers übertrafen sich Regisseurin Simone Allweyer und ihre 23-köpfige Schauspielgruppe diesmal selbst.

London, Eaton Place, Ende des 19. Jahrhunderts. Besessen vom Wunsch, das Gute und Böse im Menschen voneinander zu trennen, experimentiert der angesehene Arzt und Wissenschaftler Dr. Henry Jekyll (Jan Bayer) heimlich in seinem Labor. Im Selbstversuch („Oh mein Gott, es wirkt“) verwandelt er sich in Edward Hyde (Michael Schäfer), einer Manifestation seiner eigenen dunklen Sehnsüchte.

In der Folge treibt Hyde sein Unwesen in London. Als Stammgast eines Bordells lebt er seine perversen Gewaltfantasien an den Prostituierten aus, verführt die naive Österreicherin Klara Pölzl (Stephanie Pleuler), überfällt den ehrbaren Mr. Carew (Roland Seidl) und erschießt den Zuhälter Davie Crook (Benedikt Bachert).

An die Eskapaden Hydes hat Jekyll selbst keine Erinnerung, doch das Experiment entgleitet ihm zusehends („Mein Doppelleben erschöpft mich zusehends“). Immer kürzer werden dabei die Abstände seiner Verwandlungen, welche Dr. Jekyll akribisch in seinem Tagebuch niederschreibt. Schon bald gerät sein Alter Ego in den Fokus der Polizei (Gottfried Groener und Harald Hornung). Besorgt sucht Jekylls Freund John Utterson (Gunter Hauß) Hilfe bei einem Nervenarzt namens Sigmund Freud (Clemens Allweyer). Letzterem gelingt es mithilfe des Tagebuchs, das Doppelleben des Edward Hyde schließlich aufzudecken.

Mit einer grandiosen Inszenierung gelingt dem Theater im Steinbruch mit „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ in diesem Jahr endlich der große Wurf. Lag zwischen „Im Weißen Rössl“ (2009) und „Spiel’s nochmal, Sam“ (2012) bereits eine deutliche Steigerung, so besticht das diesjährige Sommerstück durch eine bisher noch nie dagewesene Perfektion. Mit Ausdrucksstärke sowohl in der Einzelpersonen als auch im Kollektiv, maßgeschneiderten und detailverliebten

Rollen sowie einer Handlung, die vor Erotik („Hyde ist ein perverser Sack, aber ein guter Kunde“), moralischen Grundsätzen („Fünf Pfund ist viel Geld, um einem Mann die Ehre abzukaufen“), Historizität (von Sigmund Freud bis Adolf Hitler) und Humor(„Ich werde euch gleich abhören“) nur so strotzt, übertrafen sich Regisseurin Simone Allweyer, Drehbuch-Autor Clemens Allweyer sowie die 23-köpfige Schauspielgruppe diesmal selbst.

Echte schauspielerische Glanzpunkte setzte dabei Michael Schäfer, der mit Stock, Zylinder, finsterem Blick, düsterer Stimme und dominanter Körpersprache den perversen Mr. Hyde grandios darbot und das lebendige Stück mit seinem Auftritten auf seine Weise entschleunigte. Auch Stephanie Pleuler verdiente sich mit ihrer Rolle als Österreicherin Klara Pölzl („I‘ bin a anständig’s Madl“) Bestnoten. Eine glatte Eins mit Sternchen gebührt dem Drehbuch von Clemens Allweyer. Das Motiv der Original-Novelle von Robert Louis Stevenson garnierte er mit Themen, bei denen jedem Besucher des Theaters im Steinbruch das Herz aufgehen sollte. Ein Besuch, der sich absolut lohnt.

Emmendinger Tor, 04.07.2012