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Zeitfresser im Handy-Zeitalter
Heiß ist es, und in der heißen Phase sind auch die Proben zum Theaterstück „Momo“ nach dem Buch von Michael Ende. Gefeilt wird an Rhythmus, am Ausdruck, an sprachlichen Feinheiten – da vergeht die Zeit wie im Flug.
Alle waren in den Pfingstferien. Oder im Freibad. Nur ein kleines Häuflein aus Emmendingen und Umgebung nicht: 31 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 23 Jahren vom Theater im Steinbruch. Denn für sie kam mit den Ferien und der brütenden Hitze die heiße Zeit der Proben; nur fünf Tage waren spielfrei. Die Zeit vergeht wie im Flug bei den Proben des Kinderstücks „Momo“ nach dem gleichnamigen Buch von Michael Ende. Womit wir beim Thema wären, denn da geht es um Zeit sparen, Zeit verschwenden – oder Zeit verschenken.
Zeit ist Geld, das kennt man doch – und wie man sie spart, das wissen die „grauen Damen“ ganz genau. Anders als in Buch und Film regieren – ensemblebedingt – hier nämlich neun Frauen die Zeitsparkasse und statt Zigarren „rauchen“ sie Zigarettenattrappen; schließlich sind die Darsteller beim Kinderstück zwischen zehn und 23 Jahren jung. Doch das sind nicht die einzigen Besonderheiten. Schildkröte Kassiopeia bekommt ein Laufrad, weil es auf einer Freilichtbühne problematisch wäre, dauernd auf allen Vieren zu gehen; und weil sie in Buch und Film nicht spricht, sondern über Worte auf ihrem Panzer kommuniziert, hat Regisseurin Simone Allweyer ihrer Kassiopeia kurzerhand Gebärdensprache verordnet. Damit auch die Mehrheit, die dies nicht beherrscht, dem Stück folgen kann, wiederholen Kassiopeias jeweilige Gegenüber, was die kluge Kröte „sagt“.
Arbeit machen auch scheinbare Kleinigkeiten. Nachdem die grauen Damen dem Friseur Fusi vorgerechnet haben (mit beeindruckender Rechenkunst!), wie wenig Zeit ihm noch zum Leben bleibt und wie viel er verschwendet, will er diese Rechnung einfach vom Spiegel wegwischen. Doch die neuen, guten Stifte sind haltbar, da muss ein Reinigungsmittel her. Einwand aus der Technik: 90 Prozent der Reinigungsmittel könnten aber die Plexiglasscheibe ruinieren. Mal sehen… Und: Jemand muss die Kreide wegräumen, damit niemand ’reintritt. Amelie braucht als Wirtin ein Kleidungsstück mehr für die Wäscheleine, die sie während des Streits mit ihrem Mann leert. Wird besorgt.
Was auffällt: Als „Momo“1973 erschien, sprach noch keiner von Handys. In der Version im Theater im Steinbruch sind sie (fast) allgegenwärtig, eben ganz wie im richtigen Leben: Die amerikanische Touristinnen nutzen sie, es werden Selfies gemacht und die Kinder haben Smartphones („Ich kann dich nicht verstehen, mein Handy ist so laut!“), Tabletts und eine Märchen-App. Früher hat ja der Vater die Märchen vorgelesen, aber der hat keine Zeit mehr…
Simone Allweyer lässt ihr junges Team flüssig spielen, nur selten unterbricht sie, ruft mal ein „Super!“ dazwischen oder kritisiert einen Texthänger. Nur „Lauter!“ ruft sie oft. „Ihr müsst schreien“, erklärt sie in der Manöverkritik. „Denkt immer dran ’Ohrenweh, Ohrenweh!’“ Aber das umgekehrte Extrem ist auch nichts. „Du bist zu laut – da versteht man den Text nicht mehr“, sagt sie einem anderen Darsteller.
Jetzt, in der Endphase der Proben, wird vor allem an der Abstimmung gearbeitet. „Der Ablauf ist klar, aber am Timing müssen wir arbeiten“, sagt Allweyer. Manches geht zu schnell – „langsamer sprechen!“ – anderes zu langsam, der Rhythmus stimmt noch nicht und die Musik muss passgenau einsetzen: „Jetzt schon Tick-Tack!“
„Mehr Action“, lautet die nächste Forderung – das gilt für Szenen wie die Demonstration und vor allem die mit dem amerikanischen Touristinnen. Wenn sie den Fremdenführer anhimmeln und in Begeisterung ausbrechen, muss ordentlich was los sein: Beim Fotografieren ’Cheese!’ schreien. „Ihr könnt doch alle Englisch, überlegt euch englische Ausdrücke, etwa ’marvellous’“, bittet die Regisseurin. Und: Bitte „ciao!“ statt tschüss oder ade – wir sind ja in Italien.
Die Kreativität der jungen Schauspieler fordert Simone Allweyer auch für die Szene, in der Momos Freunde ihr von dem Wenigen, das sie haben, etwas abgeben: Nicht jeder soll ’Momo, ich habe für dich …’ rufen. „Überlegt euch jeder was anderes – besprecht das gleich!“ sagt Allweyer. Das gilt auch für die Reaktion auf die Streitszene. Wie sollen die ’Zuschauer’ auf der Bühne reagieren? „Die Kinder könnten Angst haben, die Eltern kennen das schon“, schlägt Amelie vor. Was noch? „Das ist peinlich, Papa streitet sich“, sagt Greta. Dann sprudeln die Vorschläge, wie die Kinder reagieren könnten. „Klasse“, sagt Allweyer dazu, „zeigt mir das – ich muss es an eurer Körperhaltung sehen!“
Die muss bei allen stimmen, auch wenn sie gerade nicht im Mittelpunkt stehen. Die Arme der grauen Damen müssen exakt angewinkelt sein, sie rauchen fast permanent und gleichzeitig, die Perückenhaare (ja, die Ärmsten werden bei all der Hitze Perücken tragen – für die zweite Probe dürfen sie sie aber abnehmen) dürfen nicht die Gesichter verdecken – und all das muss in Fleisch und Blut übergehen. Wie das Abnehmen von Schmuck: „Macht das gleich bei den Proben, weg mit Haargummi, Fußkettchen und Uhren, dann braucht ihr euch bei den Vorstellungen nicht drum zu kümmern und macht es automatisch.“
Und schon sind fast zwei Stunden verflogen, der nächste Durchlauf steht an. Gut genutzte Zeit. Fazit: Besser als mit einem Besuch des Kindertheaters „Momo“ kann man seine Zeit kaum verwenden – nicht nur, weil die Geschichte so gut in die heutige Zeit passt. Tipp für alle, die tagsüber keine Zeit haben: Es gibt auch eine Abendvorstellung (14. Juli).
Badische Zeitung, 20.06.2017
Vorsicht vor den Zeitagenten
Ausverkaufte Premiere von „Momo“ in der Regie von Simone Allweyer im Theater im Emmendinger Steinbruch
Die Premiere von „Momo“ im Theater im Steinbruch war am Sonntagnachmittag ausverkauft. Diejenigen kleinen und großen Zuschauer, die sich für das diesjährige Kindertheaterstück Zeit genommen haben, wurden auch entsprechend für ihr Kommen durch ein bravourös aufspielendes Ensemble bestens belohnt. Zum Ensemble gehören 31 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in insgesamt 60 Rollen. Das berühmte Kinderbuch „Momo“ von Michael Ende, das 1973 erschien, wurde von der Regisseurin Simone Allweyer kongenial adaptiert. Die Musik dazu komponierte Michael Bach. Statt der Grauen Herren gibt es Graue Damen, die einen überreden wollen, ihre Zeit auf die Zeitsparkasse zu bringen, weil sie zu verschwenderisch mit ihrer Zeit umgehen. Die Grauen Damen haben alle geschäftstüchtig ein Handy am Ohr, bezeichnen sich selbst als Zeitagenten und tragen statt Namen nur Nummern: BWL/553/C. Außerdem rauchen sie ständig an nie ausgehen wollenden langstieligen Zigaretten.
„Wie viel Zeit verbringen Sie nutzlos oder für andere?“ werden die Zeitagenten fragen. Genau diese Rechenbeispiele tragen die Grauen Damen dem immer mehr resignierenden Friseur Fusi (Michael Köllermann) vor: eine Minute hat sechzig Sekunden, sechzig Sekunden haben 360 Minuten, ein Tag hat 86 400 Sekunden und ein Jahr entsprechend mehr als 31 Millionen Sekunden. „Was bleibt Ihnen von einem Jahr übrig?“ rechnen die Grauen Damen ihm vor. Bei einer Lebenszeit von 42 Jahren multipliziert es sich entsprechend. Und angesichts der noch zu erwartenden Lebensjahre und der sinnlos vergeudeten Zeit kommt ein Betrag zusammen, der ihn einwilligen lässt. „Wenn Sie nicht wissen, wie man Zeit spart, dann überlassen Sie es uns“, so die Grauen Damen. Die Zeit, so versichern ihn die Grauen Damen, wird verzinst und sicher aufbewahrt.
Der Friseur bleibt nicht der einzige, der vom strengen Zeitregime der Grauen Damen verlockt wird. Auch die Freunde von Momo finden unter allerlei Ausflüchten – sei es dass das Essen zu Hause warte, sei es, dass das Online-Spiel unbedingt weitergespielt werden müsse – plötzlich keine Zeit mehr, um mit ihr zu spielen. So findet Momo ein leeres Zuhause vor, mit vielerlei Schildern, auf denen „Spielen Verboten“ steht.
Momo, die in einem verfallenen Amphitheater wohnt, wunderbar überzeugend gespielt von Antonia Arendse, trägt eine überlange Männerjacke und einen bunten Flickenrock. Ihre Haare sind ungekämmt und zerzaust. Sie ist in ihrer Erscheinung alles andere als Kunde des Friseurs Fusi. Doch dafür treten ihre Eigenschaften umso mehr hervor, sie kann nicht nur großartige und fantasievolle Geschichten erzählen, sondern auch zuhören, was sie, die es vorgezogen hat in einem verfallenen Amphitheater in einer Vorstadt lebt, sehr beliebt bei den Bewohnern macht.
Momo ist mit vielen befreundet, mit Gigi, dem unbeschwerten Fremdenführer (Pascal Jessen), Beppo, den Straßenkehrer (Nico Brill) und mit natürlich vielen Kindern. Mitunter gibt es auch Streit unter ihren Freunden. So streiten sich der Maurer Nikola (Lukas Kadlec) und der Gastwirt (Nils Köllermann) wegen Nichtigkeiten. Doch verdirbt es nicht das bunte Treiben vor der Kulisse des Amphitheaters. Bis die insgesamt neun Grauen Damen die Bühne betreten und versuchen Momo und ihren Freunden die Zeit zu stehlen. Nach und nach wird sich das Amphitheater leeren. Der Wirt wird sich noch sehnsüchtig an die Zeit erinnern: „Früher hat man gesagt, wenn Du Sorgen hast, geh‘ zur Momo.“ Aber plötzlich hat keiner mehr Zeit für Momo.
Auch der stets erschöpfte Straßenkehrer Beppo, der sein Arbeitstempo zu finden scheint, um nicht aus der Puste zu kommen: ein Schritt ein Atemzug – ein Besenstrich, wird sie verlassen. Doch so taucht unvermittelt Kassiopeia, die Schildkröte (Lara Müller-Bütow) auf. Sie kommuniziert ausschließlich mit Zeichensprache und führt Momo zu dem geheimnisvollen Meister Hora (Cornelis Huber). Doch auch die Grauen Damen haften sich an ihre Fersen. Für diesen beherzten Auftritt des 31-köpfigen Ensembles gab es von den Zuschauern dann lang anhaltenden Beifall. Deren Zeit wurde offensichtlich nicht von den Grauen Damen gestohlen.
Was ist Zeit? Eine Stunde kann eine Ewigkeit dauern oder wie im Fluge vergehen. Es kommt ganz darauf an, was man daraus macht.
Badische Zeitung, 27.06.2017
Das Theater im Steinbruch trifft den Nerv des Publikums
Wie die Alten, so die Jungen! Auch die Premiere des Kinderstücks vom Publikum frenetisch gefeiert!
Wie sich die Bilder gleichen: Tosender Applaus heute Abend gegen 18.15 Uhr nach der letzten Szene von „Momo“, dem Kindertheaterstück nach dem Roman von Michael Ende. Genau wie bei der Premiere des Erwachsenenstücks in der letzten Woche werden die Schauspier gefeiert!
Und mitten in der Reihe der rund dreißig jungen Bühnenakteure vor der Zuschauertribüne ein strahlender „Theaterdirektor“, den die Akteure spontan in ihre Reihen eingliedern – der muss sich jetzt mal mit verbeugen!
Vorsitzendem Hans-Joachim Wipfler bleibt es vorbehalten, sich danach bei allen auf und hinter der Bühne zu bedanken für monatelange Vorbereitungen. Das zeitintensive Engagement jedes Einzelnen hat ein überragendes Gesamtbild erbracht – von Regisseurin Simone Allweyer mit viel Einfühlungsvermögen individuell optimiert und somit konnte jeder seine Stärken in seiner Rolle herauskehren.
Die Spielfreude, die perfekten Abläufe und die von jedem Akteur mit eingebrachten kreativen Elemente ergänzen sich zu einer sehenswerten Vorstellung.
Regio-Trends, 25.06.2017
Momo ist keine Zeitverschwendung
Hervorragende gesellschaftskritische Umsetzung mit Gegenwartsbezug
Ausverkauft war am Sonntag die Premiere des Kinderstücks „Momo“ nach dem Roman von Michael Ende im Theater im Steinbruch. Die Geschichte um den Diebstahl der Zeit für die schönen Dinge im Leben, gegen die sich Momo erfolgreich wert, ist bekannt. 60 Rollen wurden von Regisseurin Simone Allweyer an 31 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verteilt.
Die Umsetzung des gesellschaftskritischen Stücks mit dem sinnvollen Umgang unserer Lebenszeit brachte in jeder Szene Überraschendes und den Bezug zur Gegenwart. Aus den grauen Männern wurden wegen der Überzahl weiblicher Schauspieler graue Damen in grauen Businesskostümen und grauem Teint inklusive Attrappen von langstieligen Zigaretten statt Zigarren. Ihre perfekte synchrone Choreographie passt ideal zu der Rolle als Diebe von Nächstenliebe und Freude unter den Menschen. Spielten die Kinder mit Momo (Antonia Arendse) zuvor phantasievoll nur mithilfe von Obstkisten, vermittelte das gegenwartsbezogene Spiel mit teuren Smartphones den Einfluss der grauen Damen von den Erwachsenen auch auf die Kinder. Aus der gemütlichen Trattoria von Nino (Nils Köllermann) wird ein Schnellimbiss und aus dem Fremdenführer Gigi (Pascal Jessen) ein Popstar, verfolgt von hysterisch schreienden weiblichen Fans.
Momo bleibt sich selbst treu und lässt sich auch nicht von einer Bibigirl-Puppe bestechen und holt sich mit der Hilfe der Schildkröte Kassiopeia – mit Zeichensprache auf einem Kinderlaufrad von Lara Müller-Bütow brillant verkörpert – Rat bei Meister Hora (Cornelis Huber), dessen echoisierte Stimme das Überirdische bestens darlegte. Dass die Musik optimal zum Schauspiel passte, dafür sorgt Michael Bach, der die selbst getexteten und komponierten Lieder auch mit den Akteuren einstudierte.
Ebenso stachen die Technikspezialisten nicht nur bei der Rückblende Momos auf ihrer Reise durchs eigene Herz aus dem Background als Profis hervor. Nicht zu vergessen die Kulisse, die ja nicht nur vom Kinderstück, sondern auch bei Jane Austens „Sinn und Sinnlichkeit“ genutzt wird. Schauspieler wie Mitwirkende im Hintergrund haben es wieder einmal geschafft, das Publikum und vor allem die Kinder von Anfang bis zum Schluss in ihren Bann zu ziehen und bekamen dafür den reichlich verdienten ausgiebigen Applaus. Eine Verschwendung von Zeit ist das sehenswerte Kinderstück in dieser Saison bestimmt nicht und Gelegenheit, mit Freunden, Verwandten und Bekannten zwei Stunden sinnvolle Zeit mit Momo zu verbringen und dabei „sich selbst zu vergessen“ hat man bei den noch folgenden Aufführungen, deren Termine auf der Homepage www.theater-im-steinbruch.de ersichtlich sind.
Emmendinger Tor, 28.06.2017