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Die, die das Risiko suchen
BZ-INTERVIEW mit Michael Kraus und Pascal Jessen vom Theater im Steinbruch, die die Technik für das Winterstück „Die 39 Stufen“ fest im Griff haben.
„Die 39 Stufen“ nach dem gleichnamigen Hitchcock-Film präsentiert das Theater im Steinbruch als Winterstück. Frieren werden die Akteure sicher nicht – zwei davon teilen sich rund 40 Rollen! Das stellt auch an die Technik besondere Herausforderungen, denn die sorgt dafür, dass das Publikum bei den schnellen Szenenwechseln nicht den roten Faden bei dieser rasanten Krimikomödie verliert. Wie sie das macht? Sylvia-Karina Jahn sprach mit dem technischen Leiter Michael Kraus und Akustiker Pascal Jessen.
BZ: Ein Film als Theaterstück – wie funktioniert das?
Kraus: Die „39 Stufen“ sind eine Krimikomödie mit einer Verfolgungsjagd quer durch Schottland und England. Das heißt, wir haben sehr viele Schauplätze und Szenenwechsel und brauchen sehr viele verschiebbare Requisiten: Türen, Fenster, Kisten, Leitern – ein Haufen Sachen für so eine kleine Bühne….
Jessen: …fast zu viele!
Kraus: … sie umfasst nur 20 Quadratmeter. Besonders schwierig ist der praktisch nicht existente Hinterbühnenbereich, der Platz hinter dem Vorhang ist sehr, sehr eng. Das funktioniert nicht ohne zwei Assistenten im Hintergrund, die die Sachen anreichen und die Requisiten vorbereiten – wie bei den anderen Vorstellungen dort.
BZ: Warum haben Sie sich ein Stück ausgesucht, das solche Probleme bringt?
Kraus: Bei den Winterprojekten probieren wir gern mal was aus, suchen die Herausforderung, gehen auch ein Risiko ein – und das haben wir dieses Jahr mit dem Stück geschafft.
BZ: Warum ist die Besetzung so knapp? Sie haben für die mehr als 40 Rollen nur vier Darsteller.
Kraus: Ja, nur die männliche Hauptperson Richard Hannay (Michael Schäfer) bleibt und Jasmin Baumgratz, sein weibliches Gegenpart, spielt die drei weiblichen Rollen. Alle anderen werden von Gunter Hauß und Hans Bürkin verkörpert. Der Rollenwechsel vollzieht sich zum Teil im Sekundentakt – in einer Szene wechseln die beiden zwischen fünf Rollen hin und her. Aber das macht ja gerade den Witz aus.
BZ: Wird das nicht zu verwirrend für den Zuschauer?
Kraus: Wir versuchen, den Wechsel mit kleinen, charakteristischen Änderungen beispielsweise am Kostüm deutlich zu machen. Das kann eine Mütze sein; oder die Person spricht einen bestimmten Dialekt.
BZ: Und was hat ein Akustiker dabei zu tun?
Jessen: Normalerweise fügt die Technik die notwendigen Geräusche ein. Aber wir haben Liveakustik und Ton- und Musikeinspielungen vorgesehen, die ich zusammen mit Barbara Seyfarth übernehme. Wir sitzen links vorn auf der Bühne und machen percussionmäßig die Geräusche , die uns möglich sind, möglichst authentisch – und mit häuslichen Mitteln. Nur was gar nicht geht, wird eingefügt.
BZ: Häusliche Mittel – was muss ich mir darunter vorstellen?
Jessen: Ein Beispiel: Wenn ein Zug bremst, ziehen wir eine Gabel über einen Teller. Oder Pfeifen und Flötenmusik werden genutzt.
Kraus: Es ist die gute alte Akustikerschule aus der vordigitalen Zeit, so werden Gewehrschüsse mit Blech und Hammer erzeugt, Wetter wie Donner simuliert.
BZ: Gibt es für Ihre Inszenierung ein Vorbild?
Kraus: Wir haben uns informiert, wie andere das Stück inszenieren. Manche hatten einen Musiker im Hintergrund, aber einen Akustiker hatte niemand dabei. Aber es ist wichtig, dass Gesten der Schauspieler – etwa das Öffnen oder Schließen eines Fensters – mit dem passenden Geräusch unterlegt sind – das gibt dem Publikum einen besseren Eindruck.
BZ: Wo liegen die größten Schwierigkeiten?
Kraus: Wir müssen alles exakt aufeinander abstimmen und die Akustiker mit einbauen. Das heißt, es gibt Proben für die Schauspieler, Proben für die Akustiker und beides muss zusammengefügt werden. Das Stück lebt vom Tempo zwischen den Szenen, das ist eine große Herausforderung und erfordert eine sehr sehr gute Planung. Dazu kommt der logistische Aufwand mit dem Auf- und Abbau der Requisiten. Aktuell arbeite ich noch am Messer im Rücken – wir können nicht jedes Mal der Hauptdarstellerin ein Messer in den Rücken stechen. Es muss schnell montiert und demontiert sein – da bin ich noch am Basteln.
BZ: Seit wann proben Sie?
Kraus: Seit Oktober proben wir dreimal in der Woche, derzeit jeden Abend. Das dauert in der Regel zwei Stunden, plus einer halben Stunde Auf- und Abbau – wir haben ja einen Haufen Großrequisiten, und die Majabühne wird ja auch als Kinosaal genutzt. Deswegen findet nur jede dritte Probe dort statt. Aber wir sind froh, dass uns die Familie Vetter dort kostenlos proben lässt – es wäre einfacher, sich eine fertige Produktion ins Haus zu holen!
BZ: Haben Sie sich schon mal gewünscht, Sie hätten ein anderes Stück ausgesucht?
Kraus (nach kurzem, lachenden Blickwechsel): Nein! Aber ich glaube, andere haben sich das schon überlegt.
BZ: Aber Sie sind mit Begeisterung dabei – was ist das Schöne an diesem Stück?
Jessen: Das Abwechslungsreiche – es ist die ganze Zeit Action auf der Bühne, irgendetwas passiert immer. Und es ist auch für die Zuschauer etwas komplett Neues, die Kombination von Akustik und Schauspielern gibt es nicht immer.
Kraus: Das Tempo macht es, es ist eine Verfolgungsjagd à la James Bond durch das Land – und die Mischung aus Krimi und Komödie dürfte die Zuschauer begeistern.
Badische Zeitung, 05.01.2017
Auf der Maja-Bühne feiert eine Bühnenadaption des Hitchcock-Klassikers „39 Stufen“ Premiere
Am Samstagabend war vor ausverkauftem Haus auf der Maja-Bühne die Premiere von „Alfred Hitchock‘s Die 39 Stufen“, dem diesjährigen Winterstück des Theaters im Steinbruch. Unter der Regie von Simone Allweyer gelingt es dem Theater, wohl ihr dramaturgisch schwierigstes Stück auf die Bühne zu bringen. Klamauk und actionreicher Verfolgungsthriller geben sich hier die Hand. Der schottische Schriftsteller John Buchan schrieb dieses Buch 1915 und verlegte diese Verschwörungs- und Mordgeschichte um den gelangweilten Lebemann Richard Hannay, der durch Zufall in eine Spionageaffäre verwickelt wird, zunächst nach London, um sie in Schottland enden zu lassen. Zwanzig Jahre später verfilmte Alfred Hitchcock diesen Romanstoff und machte daraus einen temporeichen Verfolgungsthriller mit einem guten Schuss Humor. Endgültig zur Farce wurde dieser Stoff durch die Bühnenadaption von Patrick Barlow, die 2005 in England uraufgeführt wurde und zahlreiche Preise erhielt.
Besonderer Clou dieser Bühnenfassung der 39 Stufen war, dass sämtliche Rollen durch vier Schauspieler belegt werden mit minimalstem Aufwand an Requisiten. So muss etwa ein Bilderrahmen ausreichen, um als Fenster zu dienen. Zwei Kisten hintereinander und ein Lenkrad muss als Auto herhalten. Dem Theater im Steinbruch gelingt diese Bühnenadaption mit vier Schauspielern bravourös. Lediglich die Rolle von Richard Hannay bleibt durch den wunderbaren Michael Schäfer konstant von einer Person besetzt. Jasmin Baumgratz übernimmt überzeugend gleich drei Frauenrollen: Annabella Schmidt, die in Richard Hannays Wohnung mit einem Messer ermordet wird, Pamela, die Hannay unterwegs auf der Flucht trifft sowie Margaret, deren Ehemann und sie auf Hannays Flucht kurzfristig Unterschlupf gewährt. Die restlichen Rollen, männliche wie weibliche, teilen sich unnachahmlich Hans Bürkin und Gunter Hauß: Agenten, Polizisten, Milchmann, Putzfrau, Hotelbesitzerehepaar, bis hin zu dem sogenannten Mister Memory, hier verkörpert von Hans Bürkin, der als lebendiges Lexikon in einer Londoner Show auch die schwierigsten Fragen des Publikums beantworten kann. Und damit beginnt auch diese actionreiche Komödie.
Nicht nur überzeugt diese Minimalbesetzung – vier Schauspieler für etwa 40 Rollen, sondern auch Backstage wird hart gearbeitet. Barbara und Karin Seyfarth sorgen dafür, dass jedes Requisit zur rechten Zeit eingesetzt wird, während Pascal Jessen und Roland Seidl als Geräuschemacher für die akustischen Effekte verantwortlich sind. Es dauerte zwar ein wenig, um in das Theaterstück hineinzufinden, doch dann entfaltet es doch eine ungemeine Sogwirkung.
Das Theaterstück ist spannend und hält auch diese Spannung bis zum Ende hin aufrecht. Schafft es Richard Hannay, zu beweisen, dass er nicht der Mörder ist? Er ist vorher während der Show um Mister Memory von der glamourösen Annabella gewarnt worden, dass er Mitwisser einer Verschwörung sei. Sie überredet ihn, sie in seinem Zimmer mitzunehmen. Und dann liegt sie auch schon am anderen Morgen tot dort mit einem Messer im Rücken. So bleibt dem Londoner Snob, wohlanständig gekleidet und offensichtlich gutaussehend, nur die Flucht. Es zieht ihn nach Schottland zu einer kleinen Provinzstadt, um selbst den Mordfall aufzuklären und seine Unschuld zu beweisen. Die Leiche wird gefunden und es dauert nicht lange, bis es schwarz auf weiß in der Tageszeitung großaufgemacht steht. Er hofft, nicht erkannt zu werden. Doch im Zug fangen schon die Probleme an. Er sitzt im Abteil und wird unfreiwillig in ein Gespräch verwickelt, dabei gilt doch sein Interesse nur der Tageszeitung, was dort über ihn berichtet wird. Er schafft es, in ein anderes Abteil zu gehen, in dem er einer attraktiven Dame namens Pamela begegnet. Mittlerweile ist auch die Polizei im Zug. Als die Polizei auch dieses Abteil durchsuchen will, stürzt er sich auf die Dame und küsst sie, so dass es so aussieht, als seien sie ein Pärchen. Die Polizisten gehen weiter. Nur kurz wird ihnen dieses „Glück“ gewährt, als sie sich ihm loswindet und aus dem Abteil geht, um dann doch die Polizei zu rufen.
Gelingt ihm die erneute Flucht? Kann er als gesuchter Mörder diesen Fall aufklären? Und kann er schließlich herausfinden, was hinter den 39 Stufen steht? Antworten darauf gibt es leider nur noch in einer Zusatzvorstellung.
Badische Zeitung, 17.01.2017
Mit „39 Stufen“ auf die Maja-Bühne
Winterstück des Theaters im Steinbruch feiert Premiere
„Die 39 Stufen“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie aus einem guten Stoff etwas Dauerhaftes werden kann, auch nach 90 Jahren. Es begann als Kriminalkomödie, John Buchan schrieb das Buch 1915, und wurde zum Action-Filmthriller: 20 Jahre später, 1935, war die Premiere von Alfred Hitchcocks Film. Wieder 70 Jahre später (2005) entstand die Theateradaption für die Bühne von Patrick Barlow, die als „Best Comedy“ ausgezeichnet wurde, und jetzt in der Emmendinger Version auf die Maja-Bühne kam.
Der Held der Geschichte, Richard Hannay (Michael Schäfer in Slapstick-Manier), erlebt beim Auftritt von „Mr. Memory“ eine Schießerei. Spionin Annabella (eine von drei erstaunlich gewinnend von Jasmin Baumgratz gespielten Frauenrollen) flüchtet in sein Bett, wird in seinem Sessel ermordet und verwickelt ihn damit in eine Spionageaffäre. Von Hitchcocks raffiinierter Spannung bleibt in der Komödie wenig übrig (außer ab und zu eingespielter Filmmusik), aber Rasanz, Einfallsreichtum und Bühnenwitz wurden vom Premierenpublikum mit viel Szenenapplaus bedacht. Dass das Theater im Steinbruch beliebt ist, zeigt sich auch daran, dass schon vorab die ersten fünf Vorstellungen ausverkauft waren. Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es am Sonntag, 29. Januar, um 19.30 Uhr einen Zusatztermin.
Natürlich passt ein solches Stück genau in die zum Kino umgebaute Majabühne (in der demnächst auch Arthouse-Filme zu sehen sein sollen). Zahlreiche Inszenierungs-Einfälle, akustische Effekte, schnelle Umbauten ohne Vorhang und rasante Verwandlungen der Darsteller kamen beim Publikum gut an. Unterschwellig und offensichtlich weist die Komödie immer wieder auf die sexuellen Enttäuschungen hin, die nicht nur von den Mitreisenden im Zug nach Schottland vorgeführt werden (im fliegenden Wechsel zu sehen: Hans Bürkin und Gunter Hauß). Die nach anfänglicher Zurückhaltung mit Annabella doch noch auftauchende Spontanität des Hauptcharakters wird am Ende belohnt. Zuerst bewährt er sich jedoch als Frauenheld auf der Flucht und auf der Suche nach den „39 Stufen“. Nachdem ihn die junge Frau eines bäuerlichen Wüterichs anhimmelt und vor den Verfolgern rettet, wird er am Ende genau an die Dame gekettet, die ihn anfangs verriet und zur Fluchtaktion zwang (inklusive Flugzeugverfolgung hinter der Leinwand). Die ganze Geschichte soll hier nicht verraten werden, jedenfalls spielt Mr. Memory aus der Anfangsszene nicht den von Hitchcock bekannten McGuffin-Effekt (Elemente ohne Bedeutung, die nur die Handlung vorantreiben). Dass eine einzige Darstellerin in drei Rollen aufgeht und die beiden anderen im Sekundentakt in 36 weitere Rollen schlüpfen, das allein ist schon ein Bravour-Stück.
Emmendinger Tor, 18.01.2017